Saudi Arabien

Das Unfassliche geschieht fast unbemerkt. Während ich mit dem Rest der Mannschaft durch die Messehalle schlendere, steht Klaus Cäsar drüben an einem Stand und unterhält sich mit drei schwarzen Erscheinungen, als sei dies das Normalste der Welt. Tatsächlich: Er plaudert mit Frauen. Hält Klaus Cäsar Zehrer, der Titanic-Dichter, dies hier für Satire? Wir sind hier nicht auf einem der branchenüblichen Bücherbasare in Leipzig oder Frankfurt, sondern auf der Buchmesse in Riad. Hier herrscht strikte Geschlechtertrennung. Frauen dürfen nur in schwarzen Ganzkörpergewändern aus dem Haus, und schon wer sie zu intensiv anblickt, kann nach geltendem Recht im Gefängnis landen. Werden wir auf Klaus Cäsar beim Fußballspiel verzichten müssen?

Ja, ich bin mit den anderen zum Fußballspielen nach Saudi-Arabien gekommen: 17 Schriftsteller, die „Autorennationalmannschaft“, wurden zu den deutschen Kulturwochen in Riad eingeladen. Wir haben bereits in Italien und in Schweden gespielt, gegen Engländer, Ungarn, Dänen, Finnen – aber noch nie gegen Araber. Vor dem Match besuchen wir allerdings erst den neuen deutschen Stand auf der Buchmesse. Im Prinzip muss man sich die Messe hier wie überall auf der Welt vorstellen: nur dass zwischen den verschnörkelten arabischen Titeln auch Hitlers „Mein Kampf“ liegt und unter den Besucher strenges Schwarz-Weiß vorherrscht: die Männer tragen Scheichgewänder, die Frauen eben Abayas. Saudi-Arabien versteht sich als Hüter des islamischen Grals, ein Land, an dem sich zurecht die Geister scheiden – jeden Freitag werden Schwerverbrecher geköpft.

Trotzdem erklärt uns der Kultursekretär der Deutschen Botschaft, Tobias Krause, dass die Gesellschaft hier im Wandel ist und nun auch Frauen regelmäßig auf die Buchmesse dürfen. Mit Moritz Rinke hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um uns hierher zu holen. In unseren roten Trainingsjacken – ein Geschenk von Werder-Bremen-Legende Dieter Burdenski – sind wir ein gefundenes Fressen für die saudischen Kamerateams.

Ich kann nicht sagen, dass ich mich seit der Ankunft am Vortag wie in einer Diktatur fühlen würde. Meine DDR-Besuche in der Kindheit waren beklemmender, und die Passkontrolle am Flughafen war weniger einschüchternd als in den USA. Arabische Herzlichkeit, wohin man kommt. Auch unser Busfahrer, Ibrahim, der im Autoradio neben islamischen Gesängen amerikanische Rapmusik spielt, ist freundlicher als jeder Berliner BVG-Schaffner. Und trotzdem bleibt das Ganze ungreifbar wie die Stadt dort draußen, über der ein Schleier aus Wüstenstaub liegt. Endlose Flachbauten, Geschäftskomplexe und Shoppingcenter – ein riesiges arabisches L.A., von Autokolonnen durchzogen (der Liter Benzin: 16 Cent). Alles ist auf Westen getrimmt, aber an den Eingängen der McDonalds-Filialen zeigen dezente Pfeile den Weg zur „Ladies Section“, der separaten Nebentür für Frauen. Dabei sind Frauen im Straßenbild ohnehin nirgendwo zu sehen. Sie dürfen nicht autofahren – wie sollen sie zu McDonalds kommen?

Am nächsten Morgen habe ich ein Interview mit der Zeitung „Arab News“. Schon am Vorabend habe ich heftig mit Ralf Bönt und Wolfram Eilenberger diskutiert, wie wir uns diplomatisch und doch deutlich verhalten. Die Journalistin, die uns empfängt, ist nicht verschleiert, höchstens 25, eine attraktive Frau. Wir sagen, die Idee des Projektes sei, mit Kulturschaffenden aller Völker Fußball zu spielen, um so einen länderübergreifenden Dialog zu stiften. Wir betonen das Wort „aller“, aber versteht man uns in einem Staat, der Israel nicht anerkennt? Erst beim Mittagessen legt ein saudischer Journalist den Maulkorb der arabischen Verblümtheiten ab und gibt uns Einblick in das Doppelleben der hiesigen Gesellschaft. Man propagiert nach außen den strikten Islam und braut zuhause heimlich Alkohol. Man unterdrückt alle Kritik am Könighaus und fliegt nach Dubai, um die Nacht zum Tag zu machen.

Wie ein Symbol dieses Doppellebens ragt inmitten der Betonwüste der 300 Meter hohe Kingdom Tower empor, gläsern, westlich, monolithisch. Es ist der erste Wolkenkratzer, den ich in meinem Leben sehe, der kein reines Phallussymbol ist, sondern der mit seiner U-Form und dem Bügel der sie beschließenden Sky Bridge fast etwas von einer Vagina hat. Als ob er das Symbol der Kulturenscheide wäre, die in diesem Land existiert, ein Loch, durch das beständig mehr westliches Denken eindringt, das die Gesellschaft von innen aushöhlt, von innen verändert.

Endlich ist der Tag des Fußballspiels gekommen. Obwohl wir unsere besten Leistungen zeigen, verlieren wir 1:5 gegen ein furios eingespieltes Team junger Sportjournalisten mit Ex-Spielern der Asienauswahl. Noch ein Beitrag der Völkerverständigung, da die Wunde von Sapporo, das 0:8 der Profis bei der WM 2002, tief in der saudischen Seele sitzt. Beim Schlusspfiff jubelt man uns zu. Auch ein Dutzend Frauen, die – eine Kulturrevolution! – zum erstenmal zum Fußballschauen in ein Stadion kommen durften. Sie sind völlig in Schwarz gehüllt. Nicht einmal Klaus Cäsar weiß, ob die drei darunter sind, die er auf der Buchmesse zum Spiel eingeladen hat.

Norbert Kron

Termine



Alle Infos zu "Fußball ist unser Lieben", hrsg. von Albert Ostermaier, Norbert Kron und Klaus Caesar Zehrer, Suhrkamp 2011, hier!


Alle Infos zu Titelkampf, hrsg. von Albert Ostermaier, Moritz Rinke und Ralf Bönt, Suhrkamp 2008, gibt es hier!

Förderer