Forza Autonama

Tagebuch vom Vierländerturnier der Autoren aus Italien, England, Schweden und Deutschland. Tito (Basilicata) und Matera 2019.

Von Uli Hannemann

I

Nach einer sehr engen Mütze Schlaf gibt es hier in Tegel hinter mir gleich den ersten Zwergerlaufstand. War aber schließlich auch das erste Mal für mich im sogenannten Nacktscanner. Jedenfalls dauerte es ewig, bis ich mich wieder angezogen hatte, so dass der Fluch nach Neapel fast schon weg war.

Sonst ist hier keiner meiner Spielkameraden. Die aalen sich wohl noch alle in der REM-Phase. Bin wohl die Vorhaut. Scheißautokorrektur.

II

Greta Thunberg würde toben vor Wut. Und zwar völlig zu Recht. Sie reißt ihr Mützchen herunter, beißt hinein und trampelt fauchend darauf herum. So kennt man sie, die innerhalb von nur wenigen Minuten von einem unbekannten kleinen Mädchen aus Klapsholm am Öresee zur wohl gefürchtetsten Person auf unserem Planeten mutierte.

Doch nur Herr S. reist vorbildlich per Eisenbahn und über verschlungene Saumtierpfade auf dem Maultier an. Alle anderen mit dem Bumsbomber des cholerischen Iren, und welcher von den Bettelschreibern auch wirklich die allfällige CO2-Buße entrichtet, kontrolliert wohl nur der Teufel. Und das auch noch sehr nachlässig, so wie man eben wiederum ihn kennt.

Das mag tatsächlich auch einer unter vielen Gründen, neben Gebrechlichkeit, Schwankelmut und notorischer Unfähigkeit sein, die die Umweltsause für mich womöglich zur Abschiedstournee werden lassen. Toscana 2005, Basilicata 2019 – vielleicht schließt sich hier der Kreis dieser so schönen und unerwarteten wie absurden Geschichte des hier nicht genannten OutdoorsAutors dieser Zeilen.

An der Bushaltestelle vom Flugi treffe ich Mr. G., der damals beim Spiel der Engländer in Berlin bei mir gewohnt hatte. Wir freuen uns sehr. (Nachtrag:) Morgen werde ich ihn mit einer Monstergrätsche, dem Scorerpunkt des Abwehrspielers, abräumen, was ihm als Schotten nur ein dankbares Lächeln entlocken wird. Vittorio nimmt uns am Busbahnhof in Potenza in Empfang und bringt uns zu einem gigantischen Hotel, das auf einer Wiese ein Stück weg von Tito steht. Wir sind fast die ersten, nur die Herren M & M sind schon dort.

III

Nicht geheuer muss es sein. Die Korridore unseres Riesenhotels erinnern an die Kellergänge im Reichshospital Kopenhagen bei Lars von Trier. Warum so ein Riesenhotel am Rande eines kleinen Industrieparks? Denn sonst ist hier eigentlich nichts.

Nur ein Riesenhotel. Und ein kleiner Industriepark. Wo ist das Geheimnis? In einem fort, „all work and no play makes Jack a dull boy“, vor mich hin murmelnd erkunde ich die sich labyrinthisch verzweigenden Gänge. Kam da nicht eben ein hohles Klagen direkt dahinten aus der Wand?

Solche Gedanken sind es, die mich beschäftigen, während wohl langsam die anderen Autoren und Spieler und Autorenspieler eintreffen. Die Herren M & M sind mit Mr. G. zusammen nach Tito gefahren. Wollen was erleben. Kann sein, dass es da ein Café gibt. Ich hielt mich versteckt, denn offiziell schlafe ich noch, während ich inoffiziell wie ein Untoter rastlos durch das Hotel geistere, heulend und auf der vergeblichen Suche nach Ruhe, Schlaf und meinem Zimmer.

Die Lösung: Das Hotel ist für uns. Nur für uns und für dieses Turnier. Danach wird es wieder abgerissen. Die Italiener sind grandiose Gastgeber!

IV

Auf einen Hund kommen hier vier Hühner. Nach dem zauberhaften Dinner, das mein Zimmergenosse, Herr B., leider verpasste, weil er später ankam, ging ich zu Bett und hub bereits zum Schlummer an, als Herr B. eintraf, sehr rücksichtsvoll, leise und die Dunkelheit zu meiner Schonung hütend und bewahrend.

Gleich darauf ertönte ein brüllendes, kreischendes aus den Tiefen schwärzester Abraumhalden zu Tage gefördertes und mit etwa tausend Dezibel verstärktes Krachen; Schnarchen will ich nicht sagen. Ich schlief nicht, weinte, schlief wieder nicht und weinte wieder. Ein Schlaf wie eine Detonation. Bestimmt bin ich heute fit beim Spielen. Morgen versuche ich es mal mit einem Luftröhrenschnitt, das wird den Burschen zähmen.

Matera Autonama Fußball Literatur
 
V

Nach einer in ihrer entsetzlichen Prüfungshaftigkeit irgendwie auch schönen Nacht, denn alle Nächte sind schön, besonders in Italien, sehen wir am Vormittag einen großen Dokumentarfilm.

“Crazy for Football” in Anwesenheit eines der Regisseure, Francesco Trento, sowie zweier Protagonisten, der Psychiatriepatienten auf ihrem Weg zu deren Fußball-Weltmeisterschaft begleitet. Ohne unsere Schicksale vergleichen zu können, finden sich doch Parallelen zu Turnieren anderer spezieller Gruppen. Sehr anrührend, auch komisch, ohne je zu denunzieren.

Es regnet Strippen und wir müssen raus zum WasserFußball. Das idyllische kleine Stadio Comunale Alfredo Mancinelli (benannt nach einem mächtigen Fürsten der Basilicata, der seine Feinde im Vorbeireiten mit dem Kleiderbügel pfählte?) trieft wie zum Hohn der Weichlinge und Sonnenmenschen. Und ich darf doch nicht nass werden. Und will nicht. Und muss nicht. Die Engländer freuen sich wie so Regenpfeifer, den Schweden ist eh immer alles egal und die Italiener wollen, glaube ich, gewinnen und verdrängen darüber sämtliches KillUnbill. Ich tue mir leid.

VI

Ergebnisdienst: Autonama – England 0:0
Autonama – Schweden 3:0, Tore: Rinke, Mican, Straatmann
Autonama – Italien 2:0, Tore: Ehrmann, Mican

Lagedienst: Tito, Stadio Comunale Alfredo Mancinelli (Don Alfredo, der das Stadion der Sage nach allein mit einer Hand und einem kleinen Sandschäufelchen erbaut hat).

Zukunftsdienst: Morgen Finale gegen Italien

Wetterdienst: Elende Schifferei

Stimmungsdienst: Bestens

Medizinischer Dienst: Müde, Wade

Sozialpsychiatrischer Dienst: Jetzt erst Mal ein Bierchen. Perroni 0,66 l

VII

Am dritten Tag die ersten Wolkenlücken. Und so ein grelles rundes Ding drüber. Überraschung: Hier ist ja Landschaft.

Wir sitzen auf der Tribüne des legendären Stadio Comunale Alfredo Mancinelli (der der Sage nach im 17 Jhdt. Tito durch lautes Klappern mit Besteck vor dem Niederbrennen gerettet hat) und wissen nicht genau, warum. In der italienischen Version des Papers, das uns zum jeweiligen Programmpunkt brieft, stand irgendwas von bambini, in der englischen was von Kindermannschaften. Allerdings auf Englisch. Jetzt weiß man nicht genau. Rehe sind hier jedenfalls nicht.

Doch dann spielen da unten tatsächlich Kinder Fußball. Die Lösung ist oft eine Tante aus Finnland.

VIII

Auch bei diesem Turnier durfte die obligatorische Lesung der Teams nicht fehlen. Je ein Text von je zwei Autoren jeder Mannschaft wurde auf italienisch, meist von einem italienischen Kollegen performt, vorgestellt. Eine der wenigen Ausnahmen war Andreas Merkels Text, gelesen von Tom Müller. Während ich die Namen der beteiligten Herren sonst gern schützend verhülle, um die Skandalisierung der Vorgänge ein wenig zu mildern, seien sie hier in all ihrer Größe in die Welt hinaus geschrien zu ihrem eigenen Lobe, aber auch dem der Weisheit und des Sprachvermögens. Ein Fest für die Ohren, den Intellekt und die Polylingualität. Italienisch. Alter Schalter. Musst du erst mal bringen.

Wahnsinnig gut war auch wie immer der Text von Hannemann. Bombe. Das Universum verneigt sich.

IX

Das Endspiel gegen Italien zwei zu null verloren. Die schöne Landschaft der Basilicata schreit: Unrecht! Doch die Niederlage war verdient. Und der Landschaft ist alles egal. Die Landschaft fühlt nichts. Sie ist einfach da. Sie urteilt nicht. Sie ist Landschaft. Landschaft. Muss ich das noch mal wiederholen? Ich glaube nicht. Nicht noch mal. Landschaft.

Der Wind in der ersten Halbzeit pfiff so böse, dass unsere Hemdchen derart gezaust wurden, dass ein Sieg praktisch unmöglich wurde. Ausgeschlossen, schade auf ne Art, aber so ist eben Fußball: Zwei Mannschaften spielen, aber höchstens eine gewinnt. Mit dem Buchmarkt ist das gar nicht zu vergleichen.

Am Abend ein liebevoller Essensempfang mit Party beim Refugee-Projekt SPRAR Tito. Es gibt Gruppentänze, die meisten verstecken sich. Gute Laune ist keine ideale Vorbereitung auf ein Finale. Da muss man bissig und böse bleiben. Fokus, Tunnelblick, Schaum vorm Mund. Es geht zwar um rein gar nix, das aber dafür richtig.

IX

Zeit der Zauderer und Zöglinge des ehrenvollen Scheiterns. Zwei zu Null gegen Italien verloren. Zwiefach zwinkernder Zorn. Die Landschaft um das altehrwürdige Stadio Comunale Alfredo Mancinelli (auch er dem Vernehmen nach ein brillanter Schöngeist und Zauderer) sagt nichts dazu. Sie ist nur Landschaft, kalt und schön wie die Kellnerin eines Spätlokals. Fußball interessiert sie einen feuchten Scheiß. Ich denke, darin findet sich der tiefere Grund für unsere Niederlage. Könnte aber auch an den zwei Gegentoren liegen. Erst kam das eine, unglücklich herbei geweht mit dem starken Gegenwind, ein Funkenflug aus Kunstleder, der unser Abwehrbollwerk lichterloh in Brand setzte. Dann das andere. Rattazong. Die Wahrheit hat oft mehr Gesichter als man zählen kann und vielleicht auch will.

X

Nachtrag zum Schnarchproblem. In der zweiten Nacht gerann das grässliche Brüllen des Herrn B. zu einem nur noch ganz hauchzarten Schnobern in etwa wie von einem Lämmchen. Und letzte Nacht wurde Herr B. als Zimmernachbar von Herrn B. abgelöst, der gleich schon mal gar nicht schnorch.

Gestern Abend waren wir dann doch noch in der Kulturhauptstadt Matera. Im Bus sangen wir alle Lieder, die es gab, und verteilten das Bier unter den Bedürftigen. Doch was heißt das überhaupt: Kulturhauptstadt? Nun, zum Beispiel, wenn es den gestrigen Reisebeitrag Nr. 9 (Ihr wisst schon, ne, irgendwas mit Landschaft …) in gleich zwei verschiedenen Ausführungen gab, dann ist die so geschaffene Kunst nicht etwa durch wankelmütiges Netz im Bus entstanden, sondern eben durch die mit demselben Bus in einer Atmo linear zunehmender geistiger und sittlicher Prägung vollzogene Annäherung an die Kulturhauptstadt. Und auch folgendes Gedicht.

Klagst du laut den Schnarchsack an,
Bist du doch wohl selbst der Mann.
(Matera 2019)

Termine



Alle Infos zu "Fußball ist unser Lieben", hrsg. von Albert Ostermaier, Norbert Kron und Klaus Caesar Zehrer, Suhrkamp 2011, hier!


Alle Infos zu Titelkampf, hrsg. von Albert Ostermaier, Moritz Rinke und Ralf Bönt, Suhrkamp 2008, gibt es hier!

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