19.–23.6.2013, Haifa: Israel – Italien – Schweden – Deutschland

Spielzeit: 2×35 Min.

19.6. Israel – Schweden 4:2

20.6.: Deutschland – Israel 2:2 (2:2)
Deutschland:
Merkel – Schmidt, Kröchert, Kron, Roloff – Döring, Oeljeschläger – Vogelsang, Nußbaumeder, Rudolph – Rinke.
Hennig, Mican, Scharfe, Werner
Coach: Döring
0:1 (12.)
1:1 Rinke (25.)
2:1 Rinke (30.)
2:2 (33.)

20.6.: Italien – Schweden 5:1

21.6. Deutschland – Italien 1:2 (0:1)
Deutschland:
Merkel – Schmidt, Kröchert, Kron, Roloff – Döring, Oeljeschläger – Vogelsang, Nußbaumeder, Mican – Rinke
Hennig, Rudolph, Scharfe, Werner

0:1 (10.)
1:1 Nußbaumeder (50.)
1:2 (70.)

22.6. Deutschland – Schweden 3:2
Deutschland:
Merkel, Schmidt, Kron, Roloff, Döring, Oeljeschläger, Vogelsang, Nußbaumeder, Rinke, Scharfe, Hennig, Werner

0:1 (10.)
1:1 Rinke
1:2
2:2 Nussbaumeder (50.)
3:2 Nussbaumeder (65.)

22.6. Israel – Italien 1:4

1. Italien 9 P./ 11:3
2. Deutschland 4 P./ 6:6
3. Israel 4 P./ 7:8
4. Schweden 0 P./ 5:12

Reisebericht:

Als sich Andreas Merkel, Torhüter der Autorennationalmannschaft, zum ersten Mal Bilder der Israelreise auf seiner Digitalkamera ansieht und feststellt, dass er die gesamte Zeit im Makromodus fotografiert hat, sitzen wir schon wieder am Ben-Gurion-Flughafen und warten darauf, in die Maschine steigen zu können, die uns zurück nach Berlin bringt. »Alles unscharf«, höre ich ihn sagen und erhasche einen Blick auf seine Gerhard-Richter-haften Kunstfotografien. »Fantastische Fotos«, denke ich, nur kann ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht sicher sein, ob das an Merkels Bildern liegt oder dem nebulösen Zustand, in dem ich mich seit zwei Tagen befinde, weil ich bei unserem Spiel gegen Italien einen überaus soliden Schlag gegen meinen Kopf abbekommen habe.

Als wir mit El Al das erste Mal nach oben, zu Gott hin wollen, sehe ich noch klar. Vor allem sehe ich, dass wir sehr lange warten müssen am kläglichen Flughafen von Schönefeld. Lucas Vogelsang, mit dem ich später ein Zimmer teilen werde, steht in der Schlange neben mir und fürchtet sich nicht zu Unrecht vor der anstehenden Befragung durch einen der wohl geschulten El-Al-Mitarbeiter. »Warum wollen Sie nach Israel? Wie lange spielen Sie schon in der Autorennationalmannschaft? Wie viele Spieler sind Sie insgesamt? Fliegen Sie alle gemeinsam zurück? Wer hat Ihre Tasche gepackt? Mit wem wohnen Sie zusammen?« Fragen dieser Art, mit eindringlichen Blicken gestellt und gerne auch wortwörtlich wiederholt, können durchaus einschüchternd sein und lassen in mir das Gefühl aufkommen, ich befände mich in einem Stasiverhör.

In Israel gelandet, gehen wir vorbei an den nahezu endlosen Fensterfronten des Ben-Gurion-Flughafens, ehe wir bei der Passkontrolle noch einmal ähnliche Fragen beantworten müssen. Dann versammeln wir uns in der glatt polierten Flughafenhalle und warten auf Klaus Döring (oder auch Curly wie er ob seiner imposanten Haarpracht genannt wird), der wenig später in einer Maschine aus Frankfurt eintreffen soll. Anders als viele Verliebte, die zur Begrüßung mit Helium gefüllte Luftballons in Herzform überreichen, die zuhauf ihren Weg zur Decke finden, empfangen wir ihn kurz darauf mit Handschlägen und Umarmungen – der Fußballbranche angemessen, könnte man sagen.

Die kurze Wegstrecke zum Bus gleicht einem Saunagang, die anschließende Fahrt nach Haifa einem Kühlbecken-Aufenthalt. Draußen ziehen karge Landschaften vorbei, nur hier und da wachsen Sträucher und Bäume, die nach Wasser lechzen. Auch im Bus mangelt es an Feuchtigkeit, die Klimaanlage läuft beständig auf höchster Stufe und prustet trockene Luft aus sämtlichen Gebläseöffnungen. In Küstennähe bahnt sich das Grün dann häufiger seinen Weg, ich hingegen sehne mich mehr und mehr nach einer Winterjacke.
In der Altstadt von Haifa fallen mir zunächst die hellen Fassaden der mit Klimaanlagen behangenen Flachbauten auf. Vereinzelte Hochhäuser, die mit ihren Glasflächen und teils geschwungenen Formen aus dem Stadtbild herausragen, wirken wie fremdartige Abu-Dhabi-Importe. Unser Hotel Port Inn hat glücklicherweise nichts futuristisches an sich und bietet stattdessen einen charmanten Hinterhofgarten.

Die Veranstalter des Turniers haben sich, wie man rasch feststellen kann, große Mühe gegeben. Auf dem Bett jedes Spielers liegt eine Laptoptasche bereit, gefüllt mit Postkarten, Broschüren und einem Ablaufplan für die nächsten Tage. Noch am Abend kommt es in einem Pub zum ersten Treffen mit den Mannschaften aus Israel, Italien und Schweden. Ich frage einen einheimischen Autor, welche Gerichte der israelischen Küche er empfehlen könne und er sagt mir, ich solle Salate, frittiertes Gemüse und Falafel probieren. Auf den Tellern um mich herum sehe ich in erster Linie Burger und Pommes, die verzehrt werden, während der ein oder andere Autor einen Fußballtext liest. Wie so oft in den kommenden Tagen sitzen wir anschließend noch eine Weile unter dem Mimosenbaum des Hotelgartens und trinken ein Bier, oder zwei, oder drei.

Am nächsten Morgen gibt Klaus Döring, unser Spielertrainer und Taktikfuchs, die Startelf für das Spiel gegen Israel bekannt. Ehe wir am späten Nachmittag aufbrechen, versammeln wir uns noch einmal. Der Coach erklärt uns anhand seiner Zeichnungen, wie wir verschieben sollen, wenn der Gegner angreift, und ermahnt uns zu unaufgeregtem Ballbesitzfußball. Wir lauschen aufmerksam und versichern ihm, dass wir ihn verstanden, respektive seine Spielphilosophie verinnerlicht hätten, wie man heute so sagt, wenn man über Fußball spricht.

Auf dem Platz mit Meerblick leitet er uns bei anhaltender Hitze durch ein Aufwärmprogramm auf Drittliganiveau. Das Level sinkt mit dem Anpfiff und erreicht nach etwa zehn Minuten seinen ersten Tiefpunkt. Es kommt zu einem Missverständnis zwischen Norbert Kron, unserem Innenverteidiger, der diese Position nicht zwingend als seine Traumposition erachtet, und Andreas Merkel, der zu allem Übel auch noch ausrutscht. Wir schenken den Israelis das erste Tor, als bräuchten wir die Zusatzmotivation des Rückstands.

In der Folge werden wir besser und gehen dank Moritz Rinke mit zwei zu eins in Führung. Zunächst uneigennützig von Hakan freigespielt, und anschließend nach einer durchaus ansehnlichen Kombination, wird er seiner Mittelstürmerposition gerecht. Dass wir am Ende doch nur mit einem Unentschieden den Platz verlassen, liegt, zumindest aus unserer Perspektive, auch am Schiedsrichter, der einen Elfmeter pfeift, nachdem Simon Roloff den Ball gegen seine Hand bekommen hat, Kategorie »Kann man geben, muss man aber auf keinen Fall.«

Vom Spiel und der Hitze geschlaucht, sehen wir uns anschließend in einem Kino den Dokumentarfilm eines italienischen Autors an. Über ein Jahr hinweg hat er mit seinem Team Psychatrie-Insassen begleitet, die zeitweise ihrem Alltag entfliehen, indem sie in einer eigens gegründeten Fußballliga einen Pokal ausspielen. Videobilder in 80er-Jahre-VHS-Qualität zeigen Spieler, die auf katastrophalen Bolzplätzen einen beachtlichen Ehrgeiz entwickeln – Spieler, die sich unermesslich freuen und mit Saltos Tore feiern, oder vollkommen verzagt in der Kabine kauern, nachdem sie verloren haben. So wahnsinnig anders als bei uns sei das auch nicht, kommentiert Moritz Rinke den Film, der immer wieder auch Interviewsequenzen und Aufnahmen des Psychatriealltags zeigt. Man kann nicht behaupten, dass er damit ganz und gar falsch liege.

Der nächste Tag beginnt sehr früh und wird sehr lang. Um 8.00 Uhr steht unsere Reiseleiterin in der Eingangstür des Hotels und sieht abwechselnd zum Bus, in den Hotelflur und auf ihre Uhr. »Come on guys, hurry«, ruft sie, mit ihrer nicht unbedingt engelsgleichen Stimme, die uns den ganzen Tag über auf unserem Jerusalem-Ausflug begleiten wird. Gemeinsam mit den Mannschaften von Italien und Schweden steigen wir in den Bus. Wo eigentlich die israelischen Autoren seien, fragen wir uns hin und wieder, nicht nur an diesem Tag.

Auf der Fahrt über den Highway Six, dem schnellsten Highway nach Jerusalem, wie die Stimme aus den scheppernden Lautsprechern mehrfach betont, passieren wir ein Palästinensergebiet. Während ich den massiven Schutzwall argwöhnisch betrachte, spricht die Reiseleiterin von einem Sicherheitszaun, der vonnöten und gerechtfertigt sei. Nahezu verstörend finde ich ihre Aussagen, als der Bus den Anstieg nach Jerusalem nimmt. Sie deutet sie auf den Ölberg und sagt: »There you can see the olive trees. Out of this trees Jesus’s cross was made.« Ihre Aussagen sind jederzeit frei vom Konjunktiv, die heilige Schrift wird zu einem fundiertem Geschichtsbuch.

Wir fahren zunächst quer durch die Heilige Stadt, um Yad Vashem zu besuchen, die Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust. Beeindruckend finde ich vor allem den Museumsbau, eine Art sehr langgezogenes Dreiecksprisma aus Beton, das sich durch den Berg der Erinnerung bohrt. Durch die Glasspitze fällt gleißendes Sonnenlicht in den Mittelgang, von dem rechts und links Galerien abzweigen, in denen man die Geschichte des Holocaust durchläuft und in erster Linie sieht, wie Juden versuchten, die Zeit des Gräuels zu überstehen. Dass ich die Ausstellung nicht allzu gut finde, liegt an den überladenen Galerieräumen, und sicherlich trägt auch unsere amerikanischstämmige Führerin, der nicht selten ein gewisser Hollywood-Pathos anhaftet, ihren Teil dazu bei.

Die folgenden Stunden im Zentrum Jerusalems sind voll von Eindrücken in kurzen Sequenzen: Das wuchtige Stadtmauertor, durch das wir das jüdische Viertel betreten. Viele kleine Gassen zwischen Bauten aus Sandstein. Ein omnipräsentes Militär, das mit Maschinengewehren bestückt ist, nicht selten in Gestalt junger Frauen. Geschlechtertrennung an der Klagemauer. Ultraorthodoxe in voller Montur, die den Tanach auf ihren Handflächen halten und fast schon spastisch mit ihrem Oberkörper vor- und zurückwippen. Ein Marktstand neben dem anderen im muslimischen Viertel mit Waren unterschiedlichster Art, angefangen bei Obst, bis hin zu androidenartigen Barbiepuppen und anderen skurrilen Kinderspielzeugen. Gebetsgesänge aus einer Moschee, die mit Schalltrichtern verstärkt werden und durch die Gassen hallen. Unendlich viele Touristen, die von einer Glaubensstätte zur anderen tingeln und fatalistisch ihrem Stadtführer folgen, der eine Nummer hochhält, damit niemand verloren geht.

Als wir uns jenseits der Stadtmauer wieder versammeln, um die Rückfahrt nach Haifa anzutreten, ist es schon später Nachmittag. Ich fühle mich ausgelaugt vom religiösen Fanatismus, der das Stadtbild bestimmt, ganz gleich, in welchem Viertel man sich befindet. Gläubige, die in Manien verfallen, haben mich schon immer verängstigt, und der Aufenthalt in der Heiligen Stadt hat mich alles andere als geheilt. Auch die anstehende, gut zweistündige Busfahrt, und die Aussicht, anschließend noch Fußball zu spielen, dienen nicht wirklich als Stimmungsaufheller.

Die Italiener seien recht heißblütig, sie provozierten und diskutierten gern, sagt Klaus Döring vor dem abendlichen Flutlichtspiel, andere pflichten ihm bei. Wir nehmen uns vor, sehr ruhig zu bleiben und sehr fair, keiner solle den Schiedsrichter anbrüllen oder sonst irgendjemanden.

Ich beobachte das Spiel zunächst von der Bank aus. Nach gefühlten zwei Minuten sind die Vorsätze ad acta gelegt, es geht rau zu, die ersten Schreie dröhnen über den ungleichmäßig ausgeleuchteten Platz. Die Italiener pressen in BVB-Manier, wir sind kaum imstande, uns aus der eigenen Hälfte zu befreien. Nach einer viertel Stunde verursacht unser Innenverteidiger Michael Kröchert einen unnötigen Elfmeter, bei dem er sich obendrein auch noch verletzt. Ich betrete das Spielfeld und sehe, dass Merkel in die richtige Ecke fliegt. Nichtsdestotrotz gehen die Italiener in Führung.

Etwa fünf Minuten später kommt es zu dem Schlag gegen meinen Kopf. Ich möchte einen Ball abgrätschen und liege am Boden. Was genau kurz darauf mit meinem Schädel kollidiert, weiß ich nicht. Es fühlt sich nach einem Fuß an, der einen Schuss abgeben möchte und stattdessen meinen Kopf erwischt. Ich bleibe benommen liegen und halte meine Augen geschlossen. Als ich sie wieder öffne, sehe ich über mich gebeugte Spieler mit besorgten Mienen. Ich verlasse den Platz und setze mich zurück auf die Bank, ein Sanitäter gibt mir eine Kühlkompresse. Mir wird etwas schlecht, erste Zeichen einer Gehirnerschütterung machen sich bemerkbar.

Etwas entrückt verfolge ich den weiteren Spielverlauf. Wir steigern uns, dennoch habe ich das Gefühl, dass sich die Italiener die besseren Torchancen erspielen. Vermehrt sind laute Rufe zu hören und Nörgeleien. Mitte der zweiten Halbzeit sehe ich, dass unser Kapitän Christoph Nußbaumeder am Ellbogen blutet und vom Schiedsrichter zu den Sanitätern geschickt wird. Eine gefühlte viertel Stunde später klebt ein Pflaster auf der betroffenen Stelle, sodass er zurückkehren kann. Welch Glück, kann man sagen: Fünf Minuten vor Schluss schlägt er einen absonderlich S-bogenförmigen Anlaufweg ein, um einen Freistoß von der linken Strafraumecke zu treten. Der Torhüter ist so verwirrt wie ich, der exzellent ausgeführte Schuss findet seinen Weg in den Torwinkel, wir gleichen aus. Dass nicht nur die italienischen Profifußballer, sondern auch ihre schreibenden Kollegen Standardsituation zu nutzen wissen, müssen wir in der Schlussminute feststellen. Ecke, Kopfball, Tor. Der sogenannte Todesstoß.

Die Kopfschmerzen, mit denen ich am nächsten Tag aufwache, sind von beachtlichem Ausmaß. Warum ich mich entschließe, mit einigen anderen zum Strand zu fahren, weiß ich nicht. Die Idee ist hirnrissig, ich liege tattrig herum, hin und wieder nehme ich eine Schmerztablette.

Als wir wieder im Hotel sind, verschwinde ich auf dem Zimmer und schließe die Vorhänge. Helles Licht steigert die Schmerzen in ein unerträgliches Ausmaß, genauso wie laute Geräusche. Ich lege mich ins Bett und nehme zwei weitere Schmerztabletten. Dass ich am Spiel gegen Schweden nicht teilnehmen kann, war am gestrigen Abend schon absehbar. Nun entscheide ich mich, einfach liegen zu bleiben, und gar nicht erst mitzufahren. Recht schnell falle ich in einen Halbschlaf.

Irgendwann kommt Lucas Vogelsang ins Zimmer und ich erfahre, dass wir das schwedische Team mit drei zu zwei besiegt und insgesamt den zweiten Platz belegt haben. Mir kommt es so vor, als gehe er gleich weiter zur Abschlussveranstaltung.

Am nächsten Morgen fühle ich mich etwas weniger duselig. Wir frühstücken und lungern noch eine Weile im Garten herum, dann müssen wir schon die Fahrt zum Flughafen antreten. Während ich etwas apathisch aus dem Fenster sehe, vernehme ich von irgendwoher, dass viel gesungen worden sei am gestrigen Abend, und wohl auch getrunken.

Dass ich Andreas Merkels Fotos auch im geistig klaren Zustand hervorragend finde, stelle ich ein paar Tage später fest, als er auf seinen Blog verweist, das ein Mannschaftsfoto zeigt. Und auch er selbst hat mittlerweile einen poetischen Mehrwert in der Blödheit des Fehlers entdeckt, wie er schreibt. »Die Fotos sahen sehr weitsichtig aus oder als hätten wir die ganze Reise nur geträumt … «, fügt er treffend hinzu. (Jens Rudolph)

Termine



Alle Infos zu "Fußball ist unser Lieben", hrsg. von Albert Ostermaier, Norbert Kron und Klaus Caesar Zehrer, Suhrkamp 2011, hier!


Alle Infos zu Titelkampf, hrsg. von Albert Ostermaier, Moritz Rinke und Ralf Bönt, Suhrkamp 2008, gibt es hier!

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